Samstag, 24. Januar 2009
 
Putschgelüste in Bolivien PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Heinz Dieterich   
Montag, 9. Oktober 2006

Vor wenigen Wochen traten Offiziere der bolivianischen Polizei an Armeegeneräle heran, um zu prüfen, inwieweit in den Streitkräften Bereitschaft zu einem Staatsstreich bestünde. Eine der Schlüsselfiguren in der Armee weigerte sich teilzunehmen und informierte den Präsidenten. Die Vorbereitungen laufen aber ohne ihn weiter. Und im Radio werden immer wieder Lobeshymnen auf „die patriotische Armee, die Che Guevara und die Subversiven tötete“ gesungen.

Die Militärs putschen nie „im luftleeren Raum,“ das vertraute mir vor sieben Jahren ein Freund, General Alberto Mueller Rojas, an. Er ist heute Mitglied des Präsidentengeneralstabs von Hugo Chávez. Diese Logik scheint momentan in Bolivien befolgt zu werden. Ein Block von Verschwörern, an dem gesellschaftliche und staatliche Kräfte beteiligt sind, arbeitet am Sturz von Präsident Evo Morales.

Die Gouverneure der energiereichen und separatistischen Provinzen Beni, Pando, Santa Cruz de la Sierra und Traija betreiben die Bildung sogenannter Zivilkomitees, die die sichtbare Speerspitze der subversiven Bewegung sind. Sowohl die Gouverneure als auch die Zivilkomitees rebellierten unverhüllt gegen die verfassungsmäßige Regierung von Evo Morales, als sie erklärten, die Verfassung, die gerade ausgearbeitet wird, nicht zu befolgen, „wenn sie nicht in allen Artikeln von zwei Dritteln der Abgeordneten der Verfassunggebenden Versammlung angenommen wird.“ Sollte das nicht passieren, drohen sie mit der Ausweitung der „Provinzautonomien“.

Die separatistischen Regionen können auf die Unterstützung des Obersten Gerichtshofes zählen, der für die geplante Insubordination die Apologie nachliefern will. Gegenüber der Erklärung der Verfassunggebenden Versammlung, sie betrachte sich als „originär, bevollmächtigt und gründerisch,“ stellten sich die Höchstrichter auf die Seite der separatistischen Provinzen. Laut Verfassungsrecht sei die Constituyente nicht „originär-gründerisch,“ sondern „mit abgeleitetem Recht und reformistisch“ und daher der geltenden Gesetzeslage unterworfen, die Zweidrittelmehrheit fordert.

Die Zivilkomitees werden von Unternehmerkreisen finanziert und von hohen Polizeioffizieren unterstützt. Ihre Aktivitäten werden von privaten Medien verbreitet und übertrieben, oftmals nach dem Schema faschistischer Propaganda. Einige der Privatmedien gehören Großkapitalisten mit Interessen in der Landwirtschaft der separatistischen Provinzen, die die Agrarreform der Regierung fürchten.

In der Gesellschaft spielen die Vereinigungen der Familienväter – die üblicherweise reaktionär sind und unter dem Einfluß der Katholischen Kirche stehen – eine wichtige Rolle. Gemeinsam mit konservativen Lehrern und Personal der Privatuniversitäten organisieren sie Streiks und Demonstrationen gegen die Regierung. Energieunternehmer versuchen künstliche Engpässe bei Diesel, und Benzin zu erzeugen, um die Bevölkerung gegen die Regierung aufzubringen.

Wie einst in Chile haben die Transportunternehmer die Aufgabe, die Wirtschaft und den öffentlichen Frieden durch einen nationalen Streik zu brechen. So ein Streik wurde für Mitte Oktober angekündigt. Er soll alle regierungskritischen Kräfte zu einer großen destabilisierenden Front zusammenschweißen. Evo Morales, der sich auf den Transportunternehmerstreik gegen Salvador Allende (1972) bezog, der von der CIA finanziert wurde, etikettierte den bevorstehenden Streik in Bolivien als „ideologisch motiviert“. Es sei ein Kampf um die Macht, „zwischen den traditionellen Großgrundbesitzern und den Volksbewegungen.“

Auch der früher so mächtige Gewerkschaftsbund COB droht, sich der Oppositionsbewegung anzuschließen. Anlaß sind die bewaffneten Zusammenstöße Anfang Oktober in Huanuni, wo Genossenschafter und angestellte Bergarbeiter aneinander gerieten und 15 Menschen töteten und 60 verletzten.

Der Konflikt von Huanuni hat wirtschaftliche Ursachen. Er brach aus, als 4000 genossenschaftlich organisierte Bergarbeiter, die dem Bergbauminister Walter Villaroel nahestehen, versuchten, die reichste Zinnmine von Bolivien, Possokoni, unter ihre Kontrolle zu bringen und dabei um die tausend Minenarbeiter der staatlichen Bergbaugesellschaft Comibol vertrieben wollten. Die Regierung wurde davon überrascht. Vor der Wahl, die Streitkräfte auf die Bergleute zu hetzen, oder der Vernachlässigung der staatlichen Aufsichtspflicht geziehen zu werden, ließ die Regierung 36 Stunden verstreichen, die sich für die politische Rechte als propagandistische Goldmine erweisen sollten. Sie nütze ihre Vormachtstellung in den Medien in ähnlicher Weise aus, wie es die Rechtsopposition in Venezuela während des Putsches gegen Hugo Chávez vorexerziert hatte.

In Bolivien wird das Handbuch der USA für subversive Bewegungen minutiös befolgt: die Maschinerie der Aufständischen wird vom US-Imperialismus mit Geld, Propaganda und politischen Programmvorgaben geschmiert. Evo Morales wurde von den USA auf die Liste von gesuchten Terroristen gesetzt, die kein Flugzeug besteigen dürfen.

Die Komplizen in der Europäischen Union und den transnationalen Energiekonzernen vervollständigen die subversive Phalanx. „BP-Tony“, britischer Premier und politischer Agent der British Petroleum, hat den britischen Energiekonzernen von Investitionen in Bolivien abgeraten.

Dieselbe Politik betreibt auch Petrobras, der brasilianisch-internationale Energieriese, dessen neokoloniale und ausbeuterische Haltung gegenüber Bolivien und anderen lateinamerikanischen Ländern die Politik anderer westlicher Konzerne verblassen lässt.

Alle wollen den „Indio“ Evo Morales stürzen, der die Geschäfte ebenso stört, wie der „negro“ Hugo Chávez in Venezuela. Für Chávez wurde nach dem gescheiterten Putsch von 2001 das Gift oder ein Unfall als Entfernungsmittel gewählt. In Bolivien sind die Eliten und ihre imperialen Paten der Meinung, dass ein Staatsstreich angemessen wäre. Nur dass ein Putsch, wie mein Freund Mueller Rojas sagt, nicht im „luftleeren Raum“ stattfinden kann. Was wir derzeit in Bolivien sehen, ist das Bemühen, diesen luftleeren Raum zu füllen.

Übersetzt und leicht gekürzt von Ralf Leonhard

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